Tödliche Flutwelle: Eine Rollbombe zerfetzte die Möhnetalsperre


Der große See, den die Möhnetalsperre im Kreis Soest aufstaut, ist ein beliebtes Ausflugs- und Erholungsgebiet. Im Zweiten Weltkrieg ereignete sich an dieser Stelle eine Katastrophe.

Kurz vor 1 Uhr am 17. Mai 1943 zerriss das Geräusch einer Explosion die Stille der Nacht. Die Bewohner in der Umgebung wurden aus dem Schlaf gerissen. Der Lärm war aus der Richtung der Möhntetalsperre gekommen. Die 650 Meter breite und 40 Meter hohe Mauer war 1913 eingeweiht worden. Mit einem Fassungsvermögen von 130 Millionen m³ galt sie als die größte Stauanlage Europas.

Bereits im Jahr 1937 war die Möhntetalsperre ins Visier der britischen Royal Air Force geraten. Für den Fall eines Kriegs wurden Pläne aufgestellt, anhand derer deutsche Talsperren zerstört werden sollten. Dafür wurden Rollbomben entwickelt. Von den 4 Tonnen Gewicht waren 3 Tonnen Sprengstoff. Kurz vor dem Abwurf sollten ein Elektromotor sie rotieren lassen. Nach dem Abwurf sollte sie dann auf der Wasseroberfläche wie ein flacher Stein bis zur Staumauer springen, dort in 10 Meter Tiefe absinken und ein Loch in die Wand reißen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Plan erst 1942 aus der Schublade geholt. Der Befehlshaber der britischen Bomberflotte Arthur Harris gab grünes Licht für die Operation Chastise (Züchtigung). Sechs Staumauern sollten zerstört werden, darunter die Möhnetalsperre. Die britischen Militärs erhofften sich, die Stromversorgung der Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet lahmzulegen. Zivile Tote wurden in Kauf genommen.

Mit der Operation wurde die 5. Bomber-Gruppe betraut. Die dafür neu aufgestellte 617. Staffel erhielt umgebaute Lancaster-Bomber, die jeweils eine Rollbombe tragen konnten. Zuvor flogen die Mannschaften allerdings Übungseinsätze, um den Abwurf der Bomben in exakt 18 Metern Höhe bei einer Geschwindigkeit von 390 Stundenkilometern zu proben. Da der Einsatz nachts erfolgen sollte, wurden unter den Flugzeugen Scheinwerfer montiert.

Nächtlicher Angriff auf die Möhnetalsperre

Am Abend des 16. Mai 1943 war es soweit: In Scampton starteten 19 Bomber zu ihrer Mission. Nachdem der Möhnesee und damit die Möhnetalsperre kurz nach Mitternacht erreicht worden war, griffen fünf Flugzeuge hintereinander an. Die erste Rollbombe explodierte vor der Staumauer explodierte. Die aufgeschreckte deutsche Flugabwehr nahm den zweiten Bomber unter Feuer. Bevor er abstürzte, löste er die Bombe aus, die jedoch über die Mauerkrone sprang. Erst als der fünfte Lancaster-Bomber seine Rollbombe um 0:49 Uhr ins Ziel brachte, zerriss die Staumauer. Das Loch war 30 Meter breit und das ausfließende Wasser vergrößerte den Spalt auf 76 Meter.

Eine zwölf Meter hohe Flutwelle wälzte sich durch die Täler von Möhne und Ruhr. Mit 20 Stundenkilometern zerstörte sie alles auf ihrem Weg. Schätzungen zufolge ertranken mindestens 1284 Menschen in den Ortschaften, darunter rund 1000 Zwangsarbeiterinnen, die im Arbeiterlager Möhnewiesen eingeschlossen waren.

Die Behörden hatten die Gefahr für einen Angriff unterschätzt. Es gab weder einen Notfallplan noch ein Warnsystem. Die Wehrmacht hatte nur wenige Flugabwehreinheiten positioniert. Umso schneller reagierte die Nazi-Obrigkeit nach der Katastrophe. Die Unglücksstelle wurde abgeriegelt. Fotografieren war verboten.

Man fürchtete zudem den Zorn der Bevölkerung. In Zeitungen durften nur noch eine begrenzte Anzahl an Todesanzeigen veröffentlicht werden. Parallel versuchte die Propaganda glaubhaft zu machen, dass ein Jude für die Bombardierung verantwortlich gewesen sei. Berichten zufolge stieß dies jedoch auf wenig Glauben.

Möhnetalsperre schnell wieder augebaut

Die Staumauer wurde wiederaufgebaut. Tausende Männer schufteten rund um die Uhr. Im Oktober 1943 war die Dammkrone fertiggestellt. Die Royal Air Force versucht nicht erneut, das Bauwerk zu zerstören. Die militärische Bilanz der Operation Chastise war umstritten. Die Möhnetal- und die Edertalsperre wurden zerstört, alle anderen Dämme blieben jedoch intakt. Die Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet wurde nur indirekt gestört. Von den 133 britischen Soldaten in den Lancaster-Bombern starben 54.  

Nach dem Krieg wurde die Möhnekatastrophe ein Teil des gesellschaftlichen Gedächtnisses, vor allem in Großbritannien. Publikationen und Dokumentationen befassten sich mit der Operation Chastise. Im Jahr 1955 erschien der Streifen „The Dam Busters“ (deutsch: „Dammbrecher“; deutscher Filmtitel: „Mai 1943 – Die Zerstörung der Talsperren“), der die damaligen Geschehnisse für ein Kinopublikum nachstellte. Die 617. Staffel der Royal Air Force, die 1943 den Einsatz flog, trägt seitdem den Namen „Dam Busters“.


Bewertung

Erlebnis: ★★★★☆

Atmosphäre: ★★☆☆☆

Geschichtsfaktor: ★★★☆☆

Landschaft: ★★★★★

Abgeschiedenheit: ☆☆☆☆☆

Abenteuer: ★★☆☆☆


Besichtigung

Es gibt einen Parkplatz direkt an der Staumauer. An dieser Stelle wird jedoch ein Rundweg vorgestellt.

Strecke: 3 Kilometer

Dauer: rund 1 Stunde

Kondition: keine

Schwierigkeit: keine

Gefahren: keine

Beste Jahreszeit: immer



Wegbeschreibung

Anreise: Ausgangspunkt ist der Ortsteil Günne der Gemeinde Möhnesee in der Nähe von Soest. Dort befindet sich an der Brünsinger Straße neben dem Sportplatz ein kostenpflichtiger Parkplatz.

Start und Ziel: Parkplatz

Weg: Vom Parkplatz zum Weg (Straßenname: „Zum Weiher“) direkt am Auslassbecken des Staudamms auf der linken Seite gehen. Dort verläuft der Rundweg mitsamt mehrerer Infotafeln. An der Staumauer aufwärts gehen, über die Mauer und auf der anderen Seite über das Wasserwerk wieder zurück zum Parkplatz.

Hinweise: keine


Weitere Informationen

Stand: 29.7.2020